“Eine Krankheit, die selten ist, bedeutet nicht das sie vernachlässigbar ist.”

Zum Gedenken an Mirko Greco, verstorben am 26.Dezember 2004.

Mirko Greco war 22 Jahre alt. Er starb am 26. Dezember in Termoli an der seltenen Krankheit, Narkolepsie und Kataplexie, an der er seit seiner Jugend litt und gegen die es in Molise/ Italien keine für ihn angemessene Behandlung gab.

Im Alter von 17 Jahren erhielt Mirko nach einer langen diagnostischen Odyssee die Diagnose Narkolepsie Typ 1. Er stürzte vom Balkon im zweiten Stock des Stadtteils Porticone und verstarb durch den schweren Aufprall auf den Asphalt.

Sein tragischer Tod markierte das Ende eines jahrelangen Kampfes um eine angemessene Behandlung – in einer Region Italiens, in der das Gesundheitssystem seinen Bedürfnissen trotz des unermüdlichen Einsatzes seiner Familie oft nicht gerecht wurde.

Wir haben das Interview mit seiner Mutter zu den Umständen seines Todes der italienischen Nachrichtenquelle “Associazione Primonumero – Città in Rete” entnommen und ins Deutsche übersetzt.

Das Originalinterview auf italienisch finden sie hier: https://www.primonumero.it/2025/01/mirko-morto-a-22-anni-cadendo-dal-balcone-la-madre-con-le-cure-giuste-sarebbe-ancora-vivo/1530848959/

 

Seine Mutter, Patricia Trigari Olave (sie stammt aus Chile, einem Land, das Mirko kannte und liebte), erzählt von den dramatischen Erfahrungen, die sie mit Mirko gemacht hat, und von ihrem schwierigen Kampf, damit er die Behandlung erhält, die sein Leben hätte verbessern können: einen Sirup auf der Basis von Natriumoxybat, der europaweit als eines der wirksamsten Medikament zur Bekämpfung von Narkolepsie mit Kataplexie gilt. Obwohl es in Italien erhältlich ist, hängt seine Versorgung von den einzelnen Regionen ab, und in Molise war sie nie gewährleistet. Mirko musste sich alternativen Therapien unterziehen, die starke Nebenwirkungen haben und nur begrenzt wirksam sind.

Patricia möchte mit ihrer Aussage das Bewusstsein für ein Thema schärfen, das nicht nur Mirkos Leben betrifft, sondern auch die vielen Menschen, die aufgrund ihrer seltenen nicht sichtbaren Erkrankung im Stillen unter der Gleichgültigkeit der Aussenstehenden leiden.

Patricia, wann haben Sie gemerkt, dass mit Mirko etwas nicht stimmt?
“Mirko war ein gesunder Junge, der voller Leben steckte. Dann, als er 14 Jahre alt war, änderte sich alles nach einem sehr starken Fieber. Bis dahin hatte er ein normales Leben geführt, aber von diesem Tag an begann er, seltsame und unerklärliche Symptome zu zeigen. Er schlief plötzlich und ohne Vorwarnung ein. In Momenten starker Emotionen, sei es Stress oder Freude, verlor er die Kontrolle über seine Muskeln. Sein Leben änderte sich in einem Augenblick, und wir mit ihm”.

Wie schwierig war es zu verstehen, woran er litt?
“Es war ein langer und frustrierender Weg. Die Symptome waren offensichtlich, aber niemand konnte uns eine Antwort geben. Wir fühlten uns allein in diesem Kampf. Erst als Mirko 17 Jahre alt war, konnten wir im Neuromed-Institut in Pozzilli eine Diagnose stellen: Narkolepsie und Kataplexie. Aber es dauerte drei Jahre, drei Jahre voller Leiden, Zweifel, schwieriger Wege und Missverständnisse.”

Wie hat sich diese Krankheit auf sein tägliches Leben ausgewirkt?
“Verheerend. Mirko konnte nicht vorhersehen, wann sein Körper ihn verraten würde. In einem Moment konnte es ihm gut gehen, im nächsten brach er am Boden zusammen und hatte keine Kraft mehr. In der Schule schlief er plötzlich ein, ohne es kontrollieren zu können, was ihn zum Opfer von Vorurteilen und sogar Mobbing machte. Die Menschen verstehen nicht, was es bedeutet, mit einer solchen Krankheit zu leben. Es war gefährlich für ihn, einfache Dinge zu tun, sogar die Straße zu überqueren, weil jederzeit ein Anfall kommen konnte”.

Nach der Diagnose wurde Ihnen eine wirksame Behandlung zuteil. Wie kam es dazu?
Wir gingen in ein spezialisiertes Zentrum in Bologna, wo man uns erklärte, dass es ein Medikament gibt, das die Lebensqualität von Narkolepsie-Patienten erheblich verbessern kann: Xyrem, ein Sirup auf der Basis von Natriumoxybat. Es wurde uns gesagt, dass das einzige Medikament sei, das bei ihm wirklich wirken könnte, aber es ist nicht überall in Italien für alle Regionen erhältlich.
In Molise wird diese Medikation nicht angeboten, obwohl sie in vielen anderen Regionen vom Gesundheitsdienst unterstützt wird. Wir haben alles versucht, um sie zu bekommen, und sogar einen Wohnortwechsel in Erwägung gezogen, aber die Bürokratie und logistische Schwierigkeiten machten dies unmöglich. Es war wie ein Kampf gegen eine Gummiwand, denn die Zeit verging und Mirko wurde immer kränker.

Wann wurde Ihnen klar, dass die Beschaffung des Wirkstoffes in Molise unmöglich sein würde?
Wir haben alles in unserer Macht Stehende getan, um das Medikament zu beschaffen. Die Situation war schrecklich. Trotz der Hilfe der italienischen Narkoleptikervereinigung wurden uns in Molise nur die Türen vor der Nase zugeschlagen. Die lokalen Strukturen, wie das Zentrum für psychische Gesundheit, boten uns keine konkrete Unterstützung. Jedes Mal, wenn ich versuchte, anzurufen, um den Ernst der Lage zu schildern, war die Antwort immer dieselbe: “Der Arzt ist krankgeschrieben”, “Es gibt eine Warteliste” oder “Warten wir bis nach den Ferien”.

“Und in der Zwischenzeit litt Mirko”.

Irgendwann hatte man in der Villa Pini eine Lösung für Mirko gefunden. Was hätte geschehen sollen?
“Ja, nach vielen Schwierigkeiten hatte ich über ein Netzwerk von Bekannten erreicht, dass Mirko in der Villa Pini in Chieti behandelt wurde. Er würde von Spezialisten betreut werden, die ihn überwachen und eine geeignete Therapie finden könnten. Er selbst war glücklich, er hatte Hoffnung. Am 7. Januar sollte er die Behandlung beginnen. Endlich, nach Jahren des Kampfes, schien es einen Ausweg zu geben. Doch dann kam Weihnachten, und innerhalb weniger Tage war alles vorbei. Wir hatten nicht einmal Zeit, ihn dorthin zu bringen, weil das Schlimmste passiert war.

Was geschah am 26. Dezember?“Am 26. Dezember ging es Mirko bereits seit einigen Tagen nicht gut. Er wachte verwirrt auf, wusste oft nicht mehr, wo er etwas abgelegt hatte, oder fragte mich, ob er wach sei oder noch schlafe. An diesem Morgen, nach einem ruhigen Frühstück, schlief er plötzlich auf dem Sofa ein. Ich wollte gerade einkaufen gehen, beschloss aber zu bleiben, weil ich dachte, er würde sich Sorgen machen, wenn er mich nicht im Haus sehen würde. Ich habe ihn nicht sofort geweckt, weil ich wusste, dass dies für einen Narkoleptiker gefährlich sein kann. Als er schließlich aufwachte – ich erinnere mich gut daran, dass es 12.50 Uhr war -, um zum Mittagessen zu seinen Großeltern zu gehen, ging er auf den Balkon, als ob er noch schliefe. Er nahm eine Zigarette und ein Feuerzeug und dann… dann habe ich ihn nicht mehr gesehen.”

Er fiel aus dem zweiten Stock. Er schlug mit dem Kopf auf, tödlich. Er fiel, ohne etwas zu merken, mit der Zigarette in der einen und dem Feuerzeug in der anderen Hand. Noch immer in seinen Fäusten geballt. Dies hat mich dann ein wenig getröstet. Ich dachte, er hätte nichts gehört, nichts gemerkt.”

In Ermangelung von Xyrem wurde Mirko eine andere Therapie verschrieben. Wie wirkte sie auf ihn?
Ja, in Molise verwenden sie ein alternatives Medikament, sie sagten uns, es sei besser als nichts, wir müssten uns damit abfinden. Aber die Wahrheit ist, dass es für Mirko verheerende Nebenwirkungen hatte. Es führte zu einer unkontrollierten Gewichtszunahme. Er war schon ein großer Junge, um die 1,80m, aber in letzter Zeit war sein Gewicht auf 150 Kilo angestiegen. Das war ein ernstes Problem, das ihn bedrückte und seinen Zustand verschlimmerte. Und dann war da noch der Balkon. Unser Balkon ist nicht hoch, und sein Gewicht, seine Größe … es dauerte nur einen Augenblick”.

Glauben Sie, dass sein Tod vermeidbar gewesen wäre, wenn man ihn mit dem richtigen Medikament behandelt hätte?
“Ja, ich bin überzeugt, dass sein Tod hätte vermieden werden können. Wenn wir nur Zugang zu diesem Medikament gehabt hätten, wäre sein Leben womöglich anders verlaufen. Ich hätte die volle Verantwortung für die Verabreichung des Medikaments übernommen, die ein gewisses Maß an Vorsicht und Präzision bei der Dosierung erfordert. Aber in einer Region wie Molise zu leben, wo vielen Narkoleptikern die lebenswichtige Behandlung verweigert wird, hat den Unterschied gemacht”.

Haben Sie versucht, die Institutionen in diesem Gebiet um Hilfe zu bitten, auch über Bekannte?                                                                                                                                                                                                      “Wir haben alles getan, um um Hilfe zu bitten. Wir haben uns an Politiker gewandt, an jeden, der uns helfen könnte, aber nichts hat sich geändert. Sie antworteten uns immer mit vagen Versprechungen und sagten, sie würden sehen, was zu tun sei. Aber am Ende wurde nichts getan. Mirko ist tot, und sein Tod darf nicht schweigend hingenommen werden. Viele sollten sich heute schämen, denn wenn er woanders gelebt hätte, wäre er wahrscheinlich noch bei mir und seinem Vater”.

Ich weiß, es ist schwierig, aber ich muss fragen. Hatten Sie nie Zweifel daran, dass Mirko freiwillig vom Balkon gesprungen sein könnte?                                                                                                                         “Niemals, niemals. Und ich habe leider diese Szene gesehen. Ich habe gesehen, wie Mirko auf den Balkon ging, um eine Zigarette zu rauchen, in einem Zustand des Somnambulismus (Schlafwandelns). einem Begleitsymptom, das mit der Narkolepsie einhergehen kann. Aber vor allem weiß ich, dass Mirko das Leben liebte und das Einzige, was er wirklich wollte, war, gesund zu werden, zu leben. Er war ein intelligenter, sensibler Junge, der gerne scherzte und lachte, auch wenn seine Muskeln es ihm nicht erlaubten, laut zu lachen. Er war ein wunderbarer Junge, aber die Krankheit forderte ihren Tribut von ihm. Wenn er zur Schule ging, schlief er oft plötzlich ein und wurde gemobbt. Die Lehrer verstanden das nicht, sie beschuldigten ihn des Trinkens, obwohl er in Wirklichkeit gar nicht trinken konnte, weil seine Krankheit das verhinderte. Es war ein ständiger Schmerz, obwohl es wunderbar war, Mirkos Mutter zu sein. Er war mein einziges Kind und wird immer mein Kind bleiben, unser einziges Kind”.

Patricia, ihr Mann Fabrizio Greco und Mirko kämpften bis zum Schluss, in der Hoffnung, dass die Medizin früher oder später auch bei ihm wirken würde. Aber die Zeit drängte, denn ein Medikament, das im übrigen Italien zur Verfügung stand, war hier in Molise eine verlorene Schlacht, eines jener verweigerten Rechte, die niemand jemals einfordern sollte.

Die Geschichte von Mirko ist jedoch nicht nur ein Schrei des Schmerzes. Sie ist auch ein Aufruf zur Verantwortung. Denn die Institutionen dürfen nicht wegsehen, wenn ein Leben durch Nachlässigkeit ausgelöscht wird, weil die Gesundheitsversorgung kein russisches Roulette sein darf, bei dem der Geburtsort darüber entscheidet, wer Anspruch auf eine Behandlung hat und wer nicht.”

 

Nach den Interviewfragen ruft Patricia zu einem Fackelzug am 1.2.2025 auf, welcher mit großer Beteiligung bereits stattfand.

Der Fackelzug am 1. Februar in Termoli ist (war) ein Akt des Gedenkens an Mirko und ein Zeichen gegen Ungerechtigkeit. Es kann nicht sein, dass man im Alter von 22 Jahren stirbt, nur weil die Behandlung, die anderswo möglich ist, in Molise nicht gewährleistet ist. Wie viele Leben müssen noch aufgrund von Kunstfehlern verkürzt werden? – meint Patricia, die diese Gedanken in den sozialen Medien geteilt hat: “Gerechtigkeit entsteht durch das Engagement und die Verantwortung derjenigen, die einen Beruf ausüben, ob es sich nun um Ärzte, Politiker oder Lehrer handelt. Hier hingegen herrschen Gleichgültigkeit und Ungerechtigkeit.

Am Samstag, den 1. Februar, werden wir um 18.30 Uhr auf der Piazza Monumento „ein Licht in die Dunkelheit dieser Stille bringen: “ Jede Fackel wird ein Aufschrei gegen das Verlassenwerden sein und eine Erinnerung an diejenigen, die die Pflicht hatten und haben, uns zu schützen und uns zumindest das Recht auf Gesundheit zu garantieren.“

Vielleicht hat es dann doch einen Zweck, Mirkos Geschichte zu erzählen.

“Vielleicht öffnet sich irgendwo eine Tür für diejenigen, die wie er leiden, und für die Angehörigen, die sich nicht damit abfinden, das Recht auf eine Behandlung zu verlieren, die den Anforderungen entspricht, die eine seltene Krankheit mit sich bringt. Selten, was jedoch nicht bedeutet, dass es vernachlässigbar ist.”