Erzählung eines Teilnehmers

Ich habe der Welt so viel zu bieten.
Und bekomme nichts hin
.
(Manuel G., Narkolepsie Typ 2)

In der Selbsthilfegruppe sitzend und den Geschichten Anderer lauschend, kommt die Frage eines Nichtbetroffenen auf, wie man sich mit Narkolepsie so fühlt. Nach Gedanken, die wie Blitze durch meinen Kopf schießen, nehme ich meinen Mut zusammen und ergreife das Wort.

„Ständig überkommt einen die Müdigkeit, man ist nicht fokussiert und antriebslos. Die Gedanken kommen, aber man selbst kommt nicht hoch. Es regt einen auf, trotz besseren Wissens, Sachen nicht erledigt zu bekommen und kraftraubend sich dabei zu erwischen, seinen Zielen nicht nachzujagen.

Wenn man selbst merkt, dass man sich nicht vertrauen kann, fängt man an, sich Fragen zu stellen.

Die Antworten lassen aber lange auf sich warten. Bei mir selbst dauerte es, bis ich merkte, dass es nicht nur eine Phase ist und ich mich in medizinische Behandlung begab.

Viele Untersuchungen folgten mit immer wieder Pausen dazwischen, weil niemand eine Lösung fand. Nach ca. 12 Jahren und immer wieder Anläufen nicht akzeptieren zu wollen, dass alles in Ordnung ist, fand man in einem Schlaflabor heraus, dass ich Narkolepsie habe.

Der Nichtbetroffene schaut einen neugierig an: „Und danach wurde es alles besser?

Ich schüttele mit dem Kopf. „Leider fing es dann erst richtig an.

Als erstes erklärte man mich als fahruntauglich, obwohl ich bereits meinen PKW- und LKW-Führerschein gemacht hatte. Die Suche nach Neurologen erwiess sich als schwer, da mich niemand annehmen wollte.

Mit noch mehr Einschränkungen kam das nächste Tief und die Hilflosigkeit, wenn man vor einem Arzt sitzt, der einen fragt, was man hier überhaupt mache. Man wäre darauf nicht spezialisiert. Erst durch die Hilfe dieser Selbsthilfegruppe fand ich richtige Kontakte.

Meine Eltern, die mit in dem Raum sitzen, nicken zustimmend. Sie gucken nicht erfreut, da sie es nicht selbst gemerkt haben, obwohl nicht mal Ärzte es ermitteln konnten.

Nachdem ich tief durchatme und meine Gedanken versuche zu sammeln, fange ich wieder an:

Es ist schwer zu erklären, was man selbst nicht versteht. Fühle ich mich müde, so geht es doch jedem anderen auch, oder nicht? Anstrengende Tage sind aber etwas anderes als ein Dauerzustand. Jeder sagt, dass man Sachen einfach mal anpacken muss. Und das sage ich mir auch, während ich dasitze und es nicht mache. Weil ich mich in Gedanken versunken darüber ärgere, dass ich normalen Gesprächen nicht folgen kann.

Mein Vater erzählt immer gerne und viel, teilt seine Erfahrungen mit und möchte für gute Stimmung sorgen, während ich wieder aggressiv werde, weil ich ihm nicht mehr folgen kann. Nur noch seine Sätze als Schlagwörter höre ich, und ich versuche zu komprimieren. Die Geschichten wiederholen sich aber wieder und wieder, und ich könnte an die Decke gehen.

Doch Stunden später fällt mir auf, dass auch ich mich in Geschichten wiederhole und mein Vater es nur gut meinte und ich wieder nicht verstehen kann, warum ich bin wie ich bin.“

Mein Vater lacht kurz auf und hebt die Schultern. „Ich bin gar keine Labertasche – ich habe viel zu erzählen, weil ich so viel erlebt habe!“ Er lacht kurz auf, doch bevor er weiterreden kann, ergreife ich das Wort, da ich noch so viel mehr zu sagen habe.

Mein Bruder leidet an Depressionen. Ob sie daher rühren, dass er nicht alles geschafft hat, was er wollte (Erfolg usw.), oder ob er durch die Depressionen nicht alles schaffte, ist für mich nicht mehr zu ermitteln.

Trotzdem erwische ich mich bei dem Gedanken, dass er es selbst verschuldet hat, da er ja nichts dagegen macht. Und im nächsten Moment erkläre ich, dass ich nicht alles schaffe aufgrund meiner Erkrankung…

Also wie soll ich verlangen, dass man mich versteht, während ich andere doch auch nicht verstehen kann und mich selbst schonmal gar nicht.

So habe ich schon seit langem vor, ein Buch zu schreiben. Doch ich kann mich beim Lesen nicht sehr lange konzentrieren. Immer rasen meine Gedanken wie Tagträume so schnell, dass ich es nicht schaffe sie zu Papier zu bringen und ich mich wieder darüber ärgere mich nicht, wie ich mir das vorgestellt habe, ausdrücken zu können.

Die Gemeinschaft nickt, denn sie kennen das doch alle.

Also was ist normal und was wird durch die Erkrankung verursacht oder verstärkt?

Habe ich so viele Tagträume, weil ich in der Nacht keine Träume habe?

Gebe ich mich dem Wahnsinn hin, da mich die Konturen in der Dunkelheit seit meiner Kindheit begleiten und es für mich normal ist, immer das Gefühl zu haben beobachtet zu werden? Oder weil meine Emotionen gestört sind, da ich viele Momente nicht richtig erfassen kann oder länger dazu brauche.

Ich möchte doch nur, dass ich nicht nur träume, sondern meine Ziele auch umsetze. Sport treiben, ein Buch schreiben und die Welt bereisen, während ich gut in meinen Job bin und ein guter Mann.

Doch ich muss akzeptieren, dass ich die Welt nicht verstehe und die Welt mich nicht versteht. Was in Ordnung ist, wenn ich das Shampoo meiner Partnerin rieche, während sie in meinen Armen liegt. Ich verstehe sie nicht immer und sie mich nicht immer, aber für diesen Moment ist alles egal und muss nicht verstanden werden.

Und wenn die Nacht mich wieder nicht schlafen lässt, kann ich mir nur sagen:

Welt, ich habe Dir so viel zu geben, aber bekomme es leider nicht hin.

Aus dem Augenwinkel nehme ich meine Mutter wahr, die zu weinen anfängt und sich die Hände vor das Gesicht hält, während sie den Raum verlässt. Ich schaue ihr anteilsnahmlos hinterher und frage mich, was es für einen Grund gibt zu weinen. Habe ich etwas falsch gemacht? Mit meinen Worten verletzt? Bin ich das Problem?

Der Nichtbetroffene beobachtet das Spektakel für einige Sekunden und wendet sich mir zu: „Kannst du es nicht begreifen?

Ich fange an zu lächeln und wende mich Ihm zu: „Kannst du es denn begreifen? Wie ich mir Emotionen Anderer vorstellen kann, während ich sie selbst nicht verstehe. Immerhin bist du nur ein Produkt meiner Phantasie.


Ich schaue in die Ferne und bin zurück in der Realität. Ich nehme einen Zug von meiner Zigarette und sitze in der kleinen Ecke im Garten, wo ich angefangen habe, darüber nachzudenken, wie ich sagen kann, wie ich mich fühle und mir eine Zigarette anzündete.

Um die Ruhe zu finden, bevor ich wieder etwas machen muss. Und schon wieder habe ich tausend Gespräche geführt, ohne etwas gesagt zu haben. Und viele Sachen erlebt, die ich nie angefangen habe. Ich beneide meinen Kopf, dass er die richtigen Worte findet, während ich mich in einem richtigen Gespräch gefühlt nicht richtig ausdrücken kann.

Ich stehe auf, um vom Garten wieder reinzugehen und den Alltag, der unmöglich scheint, müde zu überstehen. Ich frage mich erneut: “Was kann ich machen, damit es mir besser geht?

Und die Antwort ist wie so oft: einfach anfangen, einfach machen, auch wenn nichts einfach scheint.

Manuel G.